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Kollegiatstift St. Nikolaus Überlingen - Geschichte
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Abbildung  Button Überlingen mit dem markanten Turm der Stiftskirche, Aquarell von Franz Joseph Walz, 1801.
Das Kollegiatstift St. Nikolaus in Überlingen ist eine der verhältnismäßig seltenen frühneuzeitlichen Stiftsgründungen. Erst 1609 wurden die städtische Pfarrei und die dort gestifteten Kaplaneien und Pfründen in ein weltliches und nach dem Patron der Überlinger Kirche, St. Nikolaus, benanntes Stift umgewandelt. Verständlich wird diese Gründung vor dem Hintergrund der Geschichte der Stadt. Überlingen war eine der wenigen Reichsstädte, die in den Jahrzehnten der Reformation beim alten Glauben geblieben waren. Damit blieb dort auch die im Laufe des späten Mittelalters entstandene kirchliche Organisationsstruktur erhalten. Es gab einen Pfarrherr und vier Helfer, die für die Seelsorge zuständig waren, sowie zahlreiche gestiftete Pfründen, aus denen Kapläne besoldet wurden, die zum Abhalten von Seelmessen, aber teilweise auch für seelsorgerliche Aufgaben zuständig waren, und die sich in einer eigenen Bruderschaft organisiert hatten. Die finanzielle Kontrolle des Pfründvermögens wie auch den Einfluss auf die Besetzung der Stellen hatte sich der Rat im Laufe des 16. Jh. weitgehend angeeignet. In religiös-konfessioneller Hinsicht begann ab den 1580er Jahren der Einfluss der katholischen Reform auch in der Reichsstadt am Bodensee spürbar zu werden. Zugleich wurde in dieser Zeit die finanzielle Lage der Überlinger Kirche immer schwieriger, da die meist im 14. und 15. Jh. gestifteten Pfründen nicht mehr für den Unterhalt der Kapläne ausreichten.
Nach längeren Verhandlungen mit der bischöflichen Kurie in Konstanz wurden 1609 die Pfarrei und die Pfründen in ein weltliches Kollegiatstift umgewandelt, wobei als Vorbild die reformierten Statuten des Konstanzer Stifts St. Stephan dienten. Auch wenn es sich formal um eine Neugründung eines Kollegiatstifts handelte, bedeutete es de facto doch eine Überführung der bestehenden kirchlichen Struktur in die Form eines Stiftes. Der Pfarrherr wurde zum Probst des Stiftes ernannt, acht der Kapläne wurde zu Kanonikern befördert, vier erhielten Kaplaneien. Neu war, dass jetzt Propst, Kanoniker und Kapläne ein Kapitel bildeten und sich den in der entsprechenden Regel vorgegebenen Verpflichtungen - z. B. zum regelmäßigen Chordienst und zu wöchentlichen Kapitelssitzungen - unterziehen mussten. In finanzieller Hinsicht erhielt das Stift von den Pfründen nur so viele Immobilien, Häuser und Gärten, wie für den Pfarrherrn und die Kanoniker bzw. Kapläne benötigt wurden. Das restliche Vermögen wurde dem städtischen Spital übereignet, das dafür die Besoldung und Versorgung des Stiftsklerus übernahm.
Mit der Gründung des Kollegiatstifts war eine erfolgreiche Reform der Überlinger Kirche und ihres Weltklerus durchgeführt worden. In finanzieller Hinsicht war dem Erfolg allerdings keine allzu lange Dauer beschieden, da infolge des 30-jährigen Krieges das Überlinger Spital in eine schwierige finanzielle Lage geriet. Zeitweise wurden z. B. noch im 18. Jh. vakante Kanonikatsstellen nicht besetzt, um die so frei gewordenen Einkünfte nutzen zu können. Insgesamt aber konnte der Rat mit seiner Stiftsgründung zufrieden sein. Abgesehen davon, dass er weiterhin entscheidenden Einfluss auf das Stift ausübte und Finanzen sowie die Besetzung der Stellen kontrollierte, scheint das Stift in Überlingen durchaus das Ansehen der Kirche und des Klerus in der Stadt gefördert zu haben. Davon zeugen sechs Stiftungen neuer Kaplaneien zwischen 1687 und 1765, aber auch der Umstand, dass die Pröpste im Durchschnitt lange Amtsperioden aufwiesen. Auch unter dem Einfluss der Jesuiten, an deren Universitäten, sei es in Dillingen oder zum Teil sogar am Germanikum in Rom, nicht wenige der Kanoniker und Pröpste studiert hatten, wurde das Stift im Laufe der Jahrzehnte zu einer angesehenen Institution der alten Kirche, die die lokalen Eliten der Stadt wie auch des engeren regionalen Umlandes anzog.
Die Kirche des Stifts, das so genannte Überlinger Münster, eine gotische Hallenkirche, die im 16. Jh. noch zu einer Basilika umgebaut wurde, wurde nur wenige Jahre nach der Stiftsgründung durch einen neuen, 1616 fertiggestellten frühbarocke Hochaltar (des Bildhauers Jörg Zürn) aufgewertet. Dazu kamen im Laufe des 17. und 18. Jh. noch die Errichtung mehrerer barocker Altäre. Mit der Mediatisierung der Reichsstadt wurde auch das Kollegiatstift im Jahr 1803 zunächst aufgelöst, wobei aus organisatorischen Gründen dieser Beschluss nicht umgesetzt wurde. Zur endgültigen Auflösung des Stiftes kam es dann 1810, als das Großherzogtum Baden das Vermögen des Stiftes einzog und damit den finanziellen Unterhalt der Überlinger Stadtkirche übernahm.
WILFRIED ENDERLE     
LITERATUR
-<KDB I> 591-618.
- F. X. ULLERSPERGER: Beiträge zur Geschichte der Pfarrei und des Münsters in Überlingen. In: <SchrrVGBodensee> 9 (1878) 1-76.
- J. HECHT: Das St. Nikolaus-Münster in Überlingen. Der Bau und seine Ausstattung. Überlingen 1938 (2. Aufl. 1951 = Schnell-Kunstführer 540).
- A. SEMLER: Die Seelsorger der Pfarrei Überlingen. In: <FDA> 77 (1957) 89-135.
- C. ZOEGE VON MANTEUFFEL: Der Überlinger Altar. Königstein [1982].
- H. SCHMIDT: Die Staats-, Kirchen-, Rechts- und ökonomischen Verhältnisse der Reichsstadt Überlingen um 1802. In: <SchrrVGBodensee> 102 (1984) 185-206.
- W. ENDERLE: Reichsstädtisches Kollegiatstift und katholische Reform - Interpretation und Edition der Statuten des Kollegiatstiftes St. Nikolaus zu Überlingen. In: <FDA> 111 (1991) 101-170.
QUELLEN
-Generallandesarchiv Karlsruhe 229: Spezialakten der kleineren Ämter und Orte
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