Klöster in Baden-Württemberg
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Kollegiatstift Hl. Kreuz Stuttgart - Geschichte
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Wohl im zweiten Jahrzehnt des 14. Jh. wurde das Residenzstift in Stuttgart - vielleicht im Rückgriff auf Stiftspläne aus der Zeit der badischen Stadtherrschaft vor 1245 - von Graf Eberhard I. von Württemberg ins Leben gerufen. Der Schritt war sorgfältig und von langer Hand geplant, wie die solide wirtschaftliche Fundierung der Einrichtung oder die Erwirkung eines Ablasses zugunsten der Stuttgarter Kirche zeigen, und erklärt sich im Rahmen der gräflichen Politik, die in Stuttgart Ansätze zu einer Residenz schuf. Den unmittelbaren Anlass bildeten wohl Eberhards kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Königtum, die zur Flucht der Beutelsbacher Chorherren nach Stuttgart geführt hatten. Deren Stift wurde samt der württembergischen Grablege mit päpstlich-bischöflicher Einwilligung nach Stuttgart transferiert und vergrößert. Der Gründungs- bzw. Translationsvorgang fand mit dem offiziellen Einzug der Kanoniker in die Stiftskirche im Juni 1321 einen vorläufigen und mit der bischöflichen Genehmigung der neuen Stiftsämter 1324 seinen endgültigen Abschluss. Auf Siegeln schon des 14. Jh. begegnet das Heilige Kreuz als Patrozinium der Stiftskirche. Das Stift setzte sich anfangs aus einem Propst und je zwölf 12 Chorherren und Vikaren zusammen. Als Ämter begegnen Kustos, Kantor (zugleich Scholaster) und Keller. Bis zur zweiten Hälfte des 15. Jh. traten mehr als zehn Kaplaneien und ab 1490 ein Dekanat hinzu. Stets stand das Stift in Abhängigkeit zur württembergischen Gründerfamilie. Diese erlangte trotz des Selbstergänzungsrechts, das dem Kapitel verbrieft war, spätestens seit der Mitte des 15. Jh. einen entscheidenden Einfluss auf die Pfründenverleihung. Kaiser, Papst und Bischof konnten demgegenüber nur punktuell einwirken. Auf den württembergischen Einfluss ist die fast vollständige Verdrängung des Niederadels, der im 14. Jh. wohl noch dominierend war, durch die Ehrbarkeit zurückzuführen. Das Kapitel blieb stets regional geprägt, "Ausländer" aus ferneren Regionen des Reichs bildeten eine seltene, gleichwohl schillernde Ausnahme. Das Stift war das reichste im Land, ablesbar allein an seinem großen Kirchenschatz. Die Kirchen Altingen, Berg und Wangen (alle 1321), Poppenweiler (1347), Aldingen (1398), Pfauhausen und Zuffenhausen (1421), Neckargröningen (1439), Simmozheim und Uffkirch (1446), Neckarrems (1460), Beinstein (1472), Grunbach (1473) sowie Bonlanden (1477) waren ihm inkorporiert, die Kirchen von Beutelsbach, Rohracker, Aichelberg, Stetten und Stammheim sowie die Stuttgarter Leonhards- und Marienkirche befanden sich in Abhängigkeit zu ihm. In über 40 Ortschaften des Großraums Stuttgart verfügte es über Besitz und Einkünfte. Stets nahm das Stift eine zentrale Position in der württembergischen Sakrallandschaft ein, im Verlauf des 15. Jh. entwickelte es sich vollends zur kirchlichen Führungsinstanz des Landes; sein Propst fungierte folgerichtig als Haupt der württembergischen Geistlichkeit.
Die in der zweiten Hälfte des 15. Jh. im Stift entstandene ‘Stiftschronik vom Hause Württemberg’ steht am Beginn einer deutschsprachigen Landesgeschichtsschreibung in Württemberg. Nur wenige Bücher der Stiftsbibliothek lassen sich nachweisen. Sie mag insgesamt nicht sehr bedeutend gewesen sein. Dafür sind eine Reihe von Stuttgarter Geistlichen als enorme Büchersammler bekannt, vor allem Johannes Spenlin, Hilprand Brandenburg, Benedikt Farner und Georg Nüttel. Sie und weitere Kleriker taten sich als Verfasser von wissenschaftlichen oder literarischen Werken hervor und pflegten besonders seit den 1480er Jahren regen, teils freundschaftlichen Kontakt zu Gelehrten und Dichtern der Zeit. Die Brüder Vergenhans etwa oder Peter Jacobi wurden von diesen als Patrone und ihrer Gelehrsamkeit wegen gerühmt und in Werken verewigt. Mehrere Geistliche waren Angehörige der Hofkapelle. Um 1500 bildeten die Stiftskleriker einen wichtigen Bestandteil der Stuttgarter Hofkultur.
Mit der Schaffung des Stifts war seine Kirche aus dem Filialverhältnis zu Altenburg gelöst und zur alleinigen Stadtpfarrkirche erhoben worden, was sie bis 1806 bleiben sollte. Der Stiftspropst fungierte zugleich als städtischer Pfarrer. Bestrebungen, nach den schlechten Erfahrungen mit Propst Speth beide Ämter voneinander zu trennen, kamen bis 1534 nicht zur Ausführung. Priesterweihe und Residenz waren für alle Stiftsmitglieder mehr oder weniger verpflichtend. Beides gewährleistete die stetige Pflege des Gottesdienstes und der gräflichen Memoria. Die kirchliche Zentralfunktion der Stiftskirche wurde dadurch unterstrichen, dass ihren Besuchern ein Ablass gewährt wurde und dass sich ganze Landdekanate und zahlreiche Bruderschaften in ihr versammelten. Zu den Bruderschaften zählten die der Priester (ab 1419), des Salve Regina (1429) - auf sie ist die Einrichtung einer eigenen Prädikatur zurückzuführen -, der Schmiede (1450), der Metzger (1470), der Schneider und Tuchscherer (1484) sowie eine Sebastians- (1482), Annen- (1515) und Urbansbruderschaft (1518).
Gegen Ende des 15./Anfang des 16. Jh. setzten Dominikaner und Augustinereremiten das Stift als kirchliche Führungsinstanz nicht nur in Stuttgart, sondern in Württemberg allgemein unter einen Druck, dem es sich kaum gewachsen zeigte. Ein übriges tat der von Herzog Ulrich im jugendlichen Alter zum Propst ernannte Dietrich Speth, der das Stift durch Pflichtversäumnisse und sein Finanzgebaren im gesamten Land in Misskredit brachte. Das Stift selbst war wohl bei Einführung der Reformation 1534/35 intakt, wie überhaupt kaum nennenswerte Nachrichten zu inneren Reformen vorliegen. Die Mehrheit der Kleriker verzichtete bis 1537/38 auf ihre Pfründen, nur der kleinere Teil trat zum neuen Glauben über. Das kaiserliche Interim führte 1548 dann nochmals zu einer Wiederbelebung des Stifts, welches aber wegen der fehlenden Akzeptanz und struktureller Schwächen 1552 endgültig einging. Die Kirche selbst - von 1634 bis 1649 bemächtigten sich die Jesuiten ihrer - blieb nach der Reformation Hauptkirche Stuttgarts (bis 1806) und Württembergs (bis heute). Der bis 1688 vorhandene (evangelische) Stiftspropst fungierte als städtischer Pfarrer und erster Pfarrer des Landes.
Um 1230 wurde auf einer älteren Anlage eine dreischiffige Basilika mit Chor errichtet, den man im Zuge der Stiftsverlegung vergrößerte. Die Basilika wurde ab 1432 zur spätgotischen Hallenkirche umgebaut und erweitert, nachdem das Chorgewölbe bereits zu Beginn des 15. Jh. eingestürzt sein soll. Als Baumeister wirkten Hänslin und Aberlin Jörg. Wegen mehrerer Bauunterbrechungen und aus Geldmangel zogen sich die Arbeiten bis zur Reformation hin. Im 19. Jh. erfolgte unter Karl Heideloff eine umfassende Neogotisierung. In diesem Zustand verblieb die Kirche bis zur fast vollständigen Zerstörung im Jahr 1944. Bis 1958 erbaute man dann eine Kirche, die sich äußerlich an das bisherige Gebäude anschloss, im Innern aber eine gänzlich neue Einraumlösung mit hölzernem Tonnengewölbe bot. Seit 1999 saniert man das Kircheninnere grundlegend und erstellt eine Deckenkonstruktion mit gotischen Anklängen.
OLIVER AUGE     
LITERATUR
-<Württ. Klosterbuch> 464-467 (O. AUGE).
- <KDW I> Stadt Stuttgart, 13-20.
- O. AUGE: Kleine Geschichte der Stuttgarter Stiftskirche. Leinfelden-Echterdingen 2001.
- DERS.: Stiftsbiographien. Die Kleriker des Stuttgarter Heilig-Kreuz-Stifts (1250-1552) (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 38). Leinfelden-Echterdingen 2002.
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