Klöster in Baden-Württemberg
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Kollegiatstift St. Maria Herrenberg - Geschichte
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Mit Urkunde vom 3. Juli 1439 vollzog der Bischof von Konstanz auf Wunsch der Grafen Ludwig und Ulrich von Württemberg als Patronatsherren die Einrichtung eines Kollegiatstifts an der Herrenberger Marienkirche. Ausgestattet mit den im Bistum üblichen Privilegien besaß diese Propstei acht Kanonikate und drei Kaplaneien für die Spitalkirche und zwei vor der Stadt gelegene Kapellen. Die materielle Basis bildeten die zuvor resignierten Klerikerpfründen samt den Häusern und die Inkorporation des Stifts Hildrizhausen, welcher bald noch vier weitere Pfarreien und zwei Kaplaneien folgten.
Auf den Gründungspropst Dr. Heinrich Menger, einem zuvor um die Kirchenunion bemühten Baseler Konzilstheologen (+ 1444), folgte der als Jurist, Mediziner und Theologe hochgelehrte Dr. Johannes Spenlin, der 1445 ein großzügiges Zusatzprivileg erwirkte, aber 1452/53 wegen des von ihm angezettelten württembergischen Fastenspeisenstreits abgesetzt wurde. Sein Nachfolger Georg von Stein, Subdiakon, verließ Herrenberg, um eine erstaunliche Karriere beim Militär und im Dienst des Ungarnkönigs Matthias Corvinus zu machen. In der Vakanz bis zu seiner Absetzung 1469 amtierte ein Dekan. Versuche von Seiten des Propstes Dr. Leonhard Nötlichs, Mitspracherechte der Stadt u. a. wegen der Lateinschule, des Mesners oder der Nonnen zu beschneiden, wurden 1474 durchweg abgewiesen.
Die Einführung der Brüder vom gemeinsamen Leben durch Graf Eberhard im Bart konnte erst nach Nötlichs Tod Anfang 1481 angegangen werden. Am 17. März ernannte Papst Sixtus IV. Wenzel Melweiß, einen Niederländer, zum Propst und verfügte sodann am 23. März die Einführung der vita communis. Da sich die Chorherren jedoch weigerten, ihre Pfründen zu resignieren, musste der erst am 20. Mai 1482 eingesetzte Propst ein lediglich um eine Brüderzelle erweitertes Stift übernehmen. Der Papst diktierte endlich am 22. September 1483 die Bereinigung. Die Brüder, zu denen nur einer der alten Chorherren übertrat, bezogen ein seit 1482 als Propstei bezeugtes und für ihre Bedürfnisse umgestaltetes Gebäude - das heutige Dekanat -, dessen zugehöriger Klausurbezirk noch im wesentlichen erkennbar ist. Melweiß ließ das Schiff der Stiftskirche 1488-1493 mit einem reichen, ikonographisch populären Schlusssteinprogramm einwölben. In der Stadt, wo man die Brüder und namentlich ihn nicht mochte, betrieb man nach dem Tod Eberhards im Bart seine 1498 erreichte Absetzung.
Der Nachfolger Johannes Rebmann, ein Mann des Ausgleichs, brachte zunächst das Bauwesen der 1503 als "ganz erneuert" geweihten Stiftskirche zum Abschluss. Zugleich ließ er in der Propstei das Refektorium aufwendig neu gestalten. Insbesondere aber ist ihm die völlig neue Ausstattung des Kirchenchors mit Hochaltar, Chorgestühl und Buntverglasung zu verdanken, in die der "Lehrer der heiligen Schrift" in Text und Bild nach typologischer Methode die Grundtatsachen des Heilsgeschehens und die Berufung des Priesters in der von den Brüdern postulierten Form der apostolischen Sukzession verewigen ließ. Chorgestühl und der von Jerg Ratgeb ausgeführte Altar, obwohl längst in ihren subtilen thematischen Bezügen zerrissen, stellen somit in erster Linie ein einmaliges religionsgeschichtliches Zeugnis dar.
Die Rückverwandlung des Brüderstifts in ein solches weltlicher Kanoniker, durch päpstlichen Entscheid 1516 besiegelt, konnte gleich nach dem Tod Rebmanns am 10. Juli 1517 vollzogen werden. Der Stuttgarter Chorherr Benedikt Farner, ein Jurist, wurde am 17. November 1517 als Propst investiert. Elf der sechzehn Brüder hatten wohl unter Zusage der Übernahme zugestimmt. Eingerichtet wurden sechs Kanonikate, von denen zwei zur Finanzierung der herzoglichen Hofkapelle abgetreten werden mussten, mit deren Aufhebung 1523 jedoch zurückfielen, sowie acht Vikariate; mit ersteren waren die Ämter des Kustos, Kantors, Kellers und Pfarrers verbunden. Farner, persönlich fähig, gelehrt und integer, konnte das Stift nicht mehr zu einer Blüte führen, da alsbald Missstände in der Stellenbesetzung einrissen. Eine 1533 mit dem Motiv "David gegen Goliath" in Auftrag gegebene Sedilie wird man als Ausdruck seiner Einschätzung der Lage in Stadt und Land betrachten dürfen. Die Reformation, die Ende 1534 einsetzte, fand im Stift keinen ernsthaften Widerstand.
ROMAN JANSSEN     
LITERATUR
-<Württ. Klosterbuch> 275f. (R. JANSSEN).
- <KDW II> OA Herrenberg, 106-113.
- R. JANSSEN / H. MÜLLER-BAUR (Hg.): Die Stiftskirche in Herrenberg 1293-1993 (Herrenberger Historische Schriften 5). Herrenberg 1993.
- Biographien der Pröpste: R. JANSSEN / O. AUGE (Hg.): Herrenberger Persönlichkeiten aus acht Jahrhunderten (Herrenberger Historische Schriften 6). Herrenberg 1999.
QUELLEN
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 490: Stift Herrenberg
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 601 U 74, 92a: Württembergische Urkunden bis 1300
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart B 362 a: Jesuiten in Württemberg
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