Klöster in Baden-Württemberg
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Stift der Kanoniker vom gemeinsamen Leben Tachenhausen - Geschichte
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Unterhalb einer erstmals 1274 genannten Burg der Herren von Tachenhausen wird 1391 eine Kapelle Unserer lieben Frau genannt, die im Sprengel der Pfarrkirche St. Laurentius in Nürtingen lag. In den folgenden Jahrzehnten nahm sie als Mittelpunkt einer Wallfahrt einen beträchtlichen Aufschwung. Schenkungen und Stiftungen ermöglichten die Dotation von vier Altären mit vielen Reliquien, zahlreiche Ablässe kamen hinzu. Eine Klerikergemeinschaft, 1428 genannt, versah den Gottesdienst und die zahlreichen Totenmessen. Der Besitz der Kapelle wuchs kontinuierlich an. Schließlich kauften die Kapellenpfleger sogar den Meierhof Tachenhausen, den Wirtschaftshof der inzwischen abgegangenen Burg. Nach 1460 war in der Nähe der Kapelle auf Betreiben der Kapellenpfleger und des Rats der Stadt Nürtingen auch ein Vorläufer eines Spitals entstanden. Nachdem Graf Eberhard d. J. 1480 die Regierung im Stuttgarter Landesteil übernommen hatte, kam er 1481 als Patronatsherr der Kapelle den Wünschen der Stadt Nürtingen nach, die Kapelle zu einer Pfarrkirche erheben zu lassen, um die Seelsorge für die Pfründner und die armen Leute in Tachenhausen zu verbessern. Der Sprengel der neu geschaffenen Pfarrei bestand aus einem kleinen Gebiet um Pfarrkirche und Meierhof. Ziel der Veränderungen war es, das städtische Spital in Tachenhausen anzusiedeln.
Diese Entwicklung machte Graf Eberhard d. Ä. zunichte, der nach 1482 die Herrschaft in der wiedervereinigten Grafschaft übernommen hatte. Als Patronatsherr ließ er mit Zustimmung seines Vetters 1486 die Pfarrkirche in eine Stiftskirche umwandeln, die dem Generalkapitel der Kanoniker vom gemeinsamen Leben in Oberdeutschland inkorporiert wurde. Die Kanoniker hatten nun den Zugriff auf die beträchtlichen Einkünfte, die allen anderen Stiften, vor allem aber den in Tübingen studierenden Kanonikern zugute kamen. Das Pfründnerwesen und wahrscheinlich auch die Wallfahrt bestanden weiter.
Nach dem Tode Eberhards d. Ä. wandte sich die Stadt Nürtingen 1496 sofort wieder an den jetzt zum Herzog erhobenen Eberhard II., der im Schloss in Nürtingen von 1485 bis 1490 gewohnt hatte, und bat, das Marienstift aufzuheben und die Spitalgründung vorzunehmen. Da der Herzog 1498 abgesetzt wurde, konnten diese Pläne nicht mehr umgesetzt werden.
Das Stift erlangte keine große Bedeutung. Der Konvent umfasste wohl nie mehr als fünf Kanoniker und den einen oder anderen Laienbruder. Ein Kanoniker, Paul Meger aus Esslingen, studierte 1493 in Tübingen. Über eine Bibliothek, Schriftsteller oder eine Schule gibt es keine Nachrichten.
Der gesamte Konvent (Propst und vier Kanoniker) willigte 1517 in die Aufhebung des Stifts ein, das wieder in eine Kapelle umgewandelt wurde. Die Einkünfte, bis auf die Kaplaneipfründe, wurden zunächst zum Unterhalt der herzoglichen Kapelle verwendet. 1526 ließ Erzherzog Ferdinand von Österreich die Kirche dem Spital in Nürtingen inkorporieren, das nun zu einem der am reichsten ausgestatteten Spitäler in Württemberg wurde.
Eine Ansicht aus dem Forstlagerbuch von Kieser (1683) gibt eine ungefähre Vorstellung von der Lage der inzwischen verfallenen Kapelle und der Konventsgebäude (unterer Hof) und des oberen Hofs bei der abgegangenen Burg. Anlässlich der Umwandlung zu einem Pachtgut wurden 1829 die letzten Reste der Wohngebäude und 1838 auch die ehemaligen Umfassungsmauern beseitigt.
WILFRIED SCHÖNTAG     
LITERATUR
-<Württ. Klosterbuch> 471f. (W. SCHÖNTAG).
- <KB Esslingen> I, 190-192.
- <KDW II> OA Nürtingen, 210.
- <MonFratrum> 216-221.
- W. SCHÖNTAG: Die Anfänge der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Württemberg. Ein Beitrag zur vorreformatorischen Kirchen- und Bildungsgeschichte. In: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 23 (1977) 459-485, hier 470f.
- DERS.: Die Aufhebung der Stifte und Häuser der Brüder vom gemeinsamen Leben in Württemberg. In: <ZWLG> 38 (1979) 82-96, hier 92f.
- DERS.: Gabriel Biel als Organisator. Der Auf- und Ausbau der württembergischen Stifte der Kanoniker vom gemeinsamen Leben, unter besonderer Berücksichtigung des Stifts Tachenhausen. In: U. KÖPF / S. LORENZ (Hg.): Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben. Beiträge aus Anlass des 500. Todestages des Tübinger Theologen (Contubernium 47). Stuttgart 1998, 155-177, hier 164-176.
- K.FAST (Hg.): Zwischen Himmel und Erde. Klöster und Pfleghöfe in Esslingen : eine Ausstellung der Städtischen Museen und des Stadtarchivs Esslingen am Neckar in der Franziskanerkirche Esslingen, 27. September 2009 bis 31. Januar 2010. Begleitpublikation im Namen der Stadt Esslingen am Neckar. Petersberg 2009.
QUELLEN
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 121 Bd. 170a: Lagerbücher örtlicher Kirchenvermögen
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