Klöster in Baden-Württemberg
Chorherren, weltliche   Klöster im Landkreis Tübingen   
Kollegiatstift St. Moritz Rottenburg - Geschichte
  Zurück
Abbildung  Button Der Rottenburger Stadtteil Ehingen mit der Stiftskirche St. Moriz. Altarbild von 1724.
Die Errichtung des Chorherrenstifts St. Moriz in Rottenburg-Ehingen steht allem Anschein nach in engster Verbindung mit der Schaffung einer Erbbegräbnisstätte für die Grafen von Hohenberg. Den Grafen von Hohenberg war es im 12. und 13. Jh. gelungen, ihr Herrschaftsgebiet vom Westteil der Schwäbischen Alb an den oberen Neckar auszudehnen.
Die Stiftung des Chorherrenstiftes zu Ehren des hl. Mauritius und seiner Gefährten ("collegium St. Mauritii sociorumque") geht auf Graf Rudolf I. von Hohenberg (+ 1336) zurück. Den direkten Anlass dazu mag das Ableben seiner zweiten Gemahlin Gemahlin Irmengard von Württemberg (+ 1329) gegeben haben, so dass für das Gründungsjahr die Zeit um 1330 anzunehmen ist. Die Annalen des Stiftes, das vom späteren Propst Johann Evangelist Weittenauer 1674-1678 zusammengestellte Traditionsbuch ("liber traditionum"), nennen für 1330 Magister Peregrinus (Pilgrim), "rector ecclesiae" in Sülchen, Pfarrherrn des später abgegangenen Ortes und der Pfarrei vor den Toren des mittelalterlichen Rottenburg, als "Rector" von St. Mauritius.
Wegen ihres bereits vorhandenen Reliquienschatzes entwickelte sich die Stiftskirche immer stärker zur Wallfahrtskirche, zumal 1337 allen Gläubigen, die sie an bestimmten Fest- und Heiligengedenktagen des Kirchenjahres - und es war eine stattliche dreistellige Zahl - besuchten, Ablässe gewährt wurden. Zu diesem Zeitpunkt umfasste das Stiftskollegium unter dem Propst Peregrinus sieben Chorherren.
Die baulichen Voraussetzungen für Stift und Wallfahrtsort waren schon um 1300 mit einem großen Neubau geschaffen worden. Zunächst befand sich am Ort der Stiftung eine um die Mitte des 10. Jh. erstellte Mauritiuskapelle, der 1209 ein Neubau durch Graf Burkhart II. von Hohenberg (+ 1217) folgte. In der dann um 1300 begonnenen größeren Anlage - aus den Anfangsjahren stammen die Untergeschosse des Turms und der Chor - fand 1308 die erste Beisetzung statt, als hier Ursula von Öttingen, die dritte Gemahlin Graf Albrechts II. von Hohenberg (+ 1298), des Schwagers König Rudolfs I. von Habsburg, bestattet wurde. 1323 war das Bauwerk so weit gediehen, dass der erste Altar im Langhaus bepfründet werden konnte.
Zur besseren finanziellen Ausstattung inkorporierte Graf Hugo von Hohenberg 1339 die Remigiuskirche von (Rottenburg-)Ehingen dem Stift und schenkte ihm außerdem zur Festigung der materiellen Grundlage Höfe in Hart und Rangendingen. Im Jahre 1364 nahm sich das Stift die vollen Pfarrrechte von St. Remigius.
1361 bekräftigte der Enkel des Gründers, Graf Rudolf III. von Hohenberg (+ 1389), die Stiftung, die bischöfliche Bestätigung erfolgte am 11. August 1362. Das weltliche Kollegiatstift umfasste ein Kollegium von zwölf Chorherren, die aus ihren Reihen den Propst (praepositus) zu wählen hatten. Die Zahl der Vikare oder Kapläne, welche die einzelnen Chorherren als Vertreter in Erfüllung ihrer gottesdienstlichen Aufgaben wie Messlesung und Sakramentenspendung bestellen durften, unterlag keiner Begrenzung. Allerdings erreichte das Stift St. Moriz nur selten in seiner Geschichte die volle Besetzung von zwölf Chorherren.
Den Chorherren war die Seelsorge in (Rottenburg-)Ehingen anvertraut und sie waren zum gemeinsamen Chorgebet in Erfüllung des kanonischen Stundengebetes verpflichtet.
Gemäß der anfänglichen Bestimmung als Stifts- und Begräbniskirche wurden im 14. Jh. zahlreiche Mitglieder des Hauses Hohenberg hier bestattet (siehe unten).
Im 14. und 15. Jh. gelang es dem Stift durch den Erhalt von Patronatsrechten und der allmählichen Inkorporierung von Pfarreien wie Bietenhausen (1393), Kilchberg (1421), Remmingsheim (1420) und Spaichingen (1455) seinen Besitz und Einfluss entscheidend zu mehren.
Das starke Aufblühen der Wallfahrt zu Beginn des 15. Jh. gab wohl den Anstoß zur Erweiterung des Kirchenbaus. Damals wurde der ehemals freistehende Turm durch Anfügen eines weiteren Joches mit dem Kirchenschiff verbunden. In dieser Bauphase erhielt die Stiftskirche einen Teil ihres reichen Freskenschmuckes, der bis heute die kunsthistorische Bedeutung der Ausstattung des Gotteshauses bestimmt.
Mit dem Verkauf der Grafschaft Hohenberg im Jahre 1381 an die verwandtschaftlich verbundenen Habsburger kam auch St. Moriz unter die Hoheit des Hauses Habsburg, das bis zur Aufhebung des Stiftes das Präsentationsrecht für die Chorherren behielt.
Die Chorherren von St. Moriz zeichneten sich durch ein weit überdurchschnittliches Bildungsniveau aus. Jakob Ruoff beispielsweise, Propst von 1487-1497, hatte, wie Codices aus seinem Besitz im Bestand der ehemaligen Stiftsbibliothek bezeugen, 1460/62 in Paris studiert. Er ist es auch, der über dem spätgotischen Neubau der Ulrichskapelle zum Neckar hin, die Bibliothek einrichten ließ. Die Bibliothek ist in enger Verbindung zur 1451 an der Kollegiatkirche errichteten Predigerpfründe zu sehen. Aus der ehemaligen Bibliothek haben sich 41 Codices, heute in der Diözesanbibliothek Rottenburg, erhalten.
Ein weiteres anschauliches Exempel bietet die Bücherstiftung des Ehinger Chorherrn Konrad Hager (ca. 250 Handschriften des 15. Jahrhunderts, Inkunabeln, Frühdrucke) im Jahre 1539 an die Universität Tübingen, heute der älteste Bestand der Universitätsbibliothek, welche den breiten theologischen Interessenhorizont eines Chorherrn bis hin zu Schriften von Martin Luther dokumentiert.
Nach Durchsetzung der Reformation in Württemberg floh im Jahre 1535 Ambrosius Widmann (+ 1561), der Propst des Martinsstiftes und Kanzler der Universität Tübingen, nach Rottenburg-Ehingen und fand Aufnahme in St. Moriz. Zu den herausragenden Pröpsten der Neuzeit zählen Melchior Zanger (+ 1603) und Johann Evangelist Weittenauer (1640-1703). Zanger, der als Späthumanist anzusprechen ist und in St. Moriz ein Epitaph in Griechisch und Latein erhalten hat, amtierte von 1561-1602 als Propst. Neben den klassischen antiken Sprachen wird er als des Hebräischen, Chaldäischen und Syrischen kundig gerühmt. Nach den Wirren und dem drohenden Zerfall in der Reformationsära verhalf Zanger der Tridentinischen Reform zum Durchbruch. Ihm verdankt das Stift seine erneute Festigung, die Stärkung seines spirituellen Lebens und seiner Wirkung nach außen. Obwohl 1568 nach Wien als Hofprediger berufen, blieb er dem Stift als Vorsteher weiterhin verbunden. Der 1687 zum Propst gewählte Dr. Johann Evangelist Weittenauer machte sich außer durch historische Arbeiten als Verfasser von Lehrschriften wie des "Wohlerfahrenen Catechismus" (Mergentheim 3 1695) einen Namen.
Das Stift überstand, da in die Seelsorge eingebunden, die Josephinische Reform, fiel dann aber, nachdem die Grafschaft Hohenberg 1806 an Württemberg überging, durch den neuen Landesherrn der Säkularisation anheim. Die ehemalige Stiftskirche blieb als Pfarrkirche bestehen.
St. Moriz birgt eine ganze Reihe bedeutender Kunstwerke. Hierzu zählen unter den Epitaphien vom 13. bis zum 18. Jh. zunächst die drei Grabmäler der Stifterfamilie mit überlebensgroßen Darstellungen Rudolfs I. von Hohenberg, Irmengards von Württemberg und des Freisinger Bischofs Albrechts V. von Hohenberg, Werke des Straßburger Bildhauers Wölflin von Rufach (+ um 1355/60) und seiner Werkstatt. 1909 und bei der Renovierung 1970 wurde der umfangreiche Freskenbestand an Säulen und Kirchenwänden der Zeit von 1380 bis 1680 freigelegt. Hervorzuheben ist - kunsthistorisch von höchstem Interesse - der Freskenzyklus am Obergaden, welcher nach der Kirchenrenovierung 1412/13 wohl um 1440 zu datieren ist.
St. Moriz besitzt außerdem, in einem kleinen Museum vor Ort zugänglich, noch große Teile des ehemaligen Stiftsschatzes mit exzellenten Goldschmiedearbeiten Augsburger Werkstätten, darunter eine Prunkmonstranz von 1707, eine Arbeit von Johann Joachim Luz , eine meisterliche Silberbüste des hl. Mauritius, 1727 gefertigt von Franz Anton Bettle, und eine weitere Silberbüste des hl. Nepomuk von Franz Christoph Mederle, 1730 gestiftet von Propst Christoph Edelmann.
WOLFGANG URBAN     
LITERATUR
-<ERZBERGER> 284f.
- <Württ. Klosterbuch> 409-412 (W. URBAN).
- <KB Tübingen> III, 344f.
- <KDW II> OA Rottenburg, 276-278.
- J. E. WEITTENAUER: Liber traditionum (Pfarrarchiv St. Moriz B 76).
- DERS.: Repertorium über allerhandt brieff, stüfftungen, verenderungen undt merkklichen begebenhaiten des löblichen Stüffts Sancti Mauritij (Pfarrarchiv St. Moriz B 43).
- E. BENESCH: Die Stiftskirche St. Moriz in Vergangenheit und Gegenwart. In: Der Sülchgau 14 (1970) 12-26.
- A. BAUR: Rätsel um St. Moriz. Die Erbauung der Stiftskirche in Ehingen a. N. nach der schriftlichen Überlieferung. In: Der Sülchgau 14 (1970) 3-11.
- D. MANZ: Aus der Bau- und Kunstgeschichte von St. Moriz. In: Der Sülchgau 20 (1976) 14-26.
- G. BRINKHUS: Die Bücherstiftung Konrad Hagers für die Universität Tübingen im Jahre 1539. In: Bibliothek und Wissenschaft 14 (1980) 1-109.
- D. MANZ: Die Gotteshäuser der Katholischen Kirchengemeinde St. Moriz in Rottenburg-Ehingen. Rottenburg a. N. 1989.
QUELLEN
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart B 491 I: Rottenburg, Chorherrenstift St. Moriz in Ehingen
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart B 491 II: Rottenburg, Chorherrenstift St. Moriz in Ehingen
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 14 Bd. 207: Diplomatare
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 222: Lagerbücher der Klöster und Stifte: Dinkelsbühl-Ellwangen
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 52 a U 217: Archivalien des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 52 U 30: Bemalte Urkunden
Seitenanfang