Klöster in Baden-Württemberg
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Benediktinerabtei St. Martin Wiblingen - Geschichte
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Abbildung  Button Die Benediktinerabtei Wiblingen vor der barocken Umgestaltung. Aquarell von P. Gabriel Bucelin, 1630
Die Brüder Hartmann und Otto, Grafen von Kirchberg, gründeten 1093 nahe dem Zusammenfluss von Iller und Donau das Benediktinerkloster Wiblingen mit einer St. Martin geweihten Kirche, stifteten eine vom 1. Kreuzzug (1096-1099) mitgebrachte Heilig-Kreuz-Reliquie und erwirkten 1098 einen Schutzbrief Papst Urbans II. Besiedelt wurde die Neugründung, deren Vogtei bei der hier auch ihre Grablege findenden Stifterfamilie blieb, durch Mönche aus St. Blasien unter dem später als Seligen verehrten Abt Werner von Ellerbach, an den ein 1492 geschaffenes Epitaph mit dem Kirchenmodell in der nördlichen Seitenkapelle erinnert. Der Brand der Klosteranlage 1271 leitete eine Phase des wirtschaftlichen Niedergangs ein, von der sich Wiblingen, das um die Wende vom 13. zum 14. Jh. in Personalunion mit dem Kloster Ochsenhausen verwaltet wurde, nur langsam erholte. Spätere bildliche Darstellungen zeigen nach dem Wiederaufbau des Klosters eine spätromanische dreischiffige Basilika mit östlichem Querhaus und wuchtigem Vierungsturm.
Vom Aufschwung seit der Mitte des 14. Jh. zeugen eine Ausdehnung des Besitzes vor allem zwischen Iller und Rot und der Erwerb eines Pfleghofs 1386 in der Reichsstadt Ulm. Für 1353 ist erstmals eine Schule belegt, und ein Skriptorium lässt sich zumindest erschließen. Eine Blütezeit erlebte Wiblingen unter Abt Ulrich Hablüzel (1432-1473) und seinen unmittelbaren Nachfolgern mit dem Anschluss an die Melker Reformbewegung. Die Erneuerung benediktinischen Geistes ließ Wiblingen zu einem der bedeutendsten Reformzentren Südwestdeutschlands werden, das durch die Berufung von Mönchen zu Äbten u. a. in die Klöster Alpirsbach, St. Ulrich und Afra in Augsburg, Blaubeuren, Elchingen und Lorch ausstrahlte und Wiblingen 1488 die Verleihung der Pontifikalien brachte. Eine wesentliche Grundlage für die religiös-geistigen Bestrebungen, die auch in Beziehungen zu humanistischen Kreisen im benachbarten Ulm ihren Ausdruck fanden, bot die Erweiterung der bereits um 1450 etwa 200 Handschriften zählenden Bibliothek u. a. durch zugleich dem Lateinunterricht dienende klassische Autoren. Eine 1535 erfolgte Stiftung an die Universität Freiburg sollte zur Förderung der Wissenschaften beitragen, und 1542 schloss sich Wiblingen der von den oberschwäbischen Benediktinern in Ottobeuren gegründeten gemeinsamen Akademie an, die freilich nur bis 1546 Bestand haben sollte.
Versuche der Reichsstadt Ulm, den ihr 1471 von Kaiser Friedrich III. übertragenen Schutz des Klosters zur Einführung der Reformation zu nutzen, schlugen fehl, aber einer militärischen Besetzung im Schmalkaldischen Krieg konnte Wiblingen 1546 nur durch hohe Kontributionszahlungen an Ulm entgehen. Eine Visitation von 1572, die zur Absetzung des Abtes führte, leitete eine neue Blütezeit ein, die von einem Neubau der Konventsgebäude begleitet wurde. Wieder wurden Mönche zur Reform auswärtiger Klöster berufen, und an der 1622 gegründeten Benediktineruniversität Salzburg war auch Wiblingen beteiligt. Der 30-jährige Krieg unterbrach diese Entwicklung. 1633 fiel Wiblingen an den schwedischen General Joachim Wiclaff, der das Kloster aufhob. Zwar wurde die Abtei schon 1634 nach der Schlacht bei Nördlingen restituiert, aber der Konvent war zerstreut, musste die Abtwahl von 1635 im Kloster Petershausen bei Konstanz durchführen, und der neu gewählte Abt Benedikt Rauh (1635-1663) sah sich gezwungen, als Feldpropst im bayerischen Heer zu dienen. Nach 1648 konnte sich das Kloster rasch erholen, richtete um 1665 ein philosophisches und zu Beginn des 18. Jh. ein theologisches Hausstudium ein und verdankte Prior Meinrad Heuchlinger (1654-1716), einem vielseitigen Gelehrten, mit den Wiblinger Annalen einen Höhepunkt der Klostergeschichtsschreibung.
In einem langwierigen Prozess konnte sich das Kloster 1701 um den Preis der Abtretung verschiedener Güter von der Schutzherrschaft der Fugger lösen, denen die Vogtei 1507 in Nachfolge der Grafen von Kirchberg von König Maximilian I. übertragen worden war, erlangte damit die Hochgerichtsbarkeit über seine rund 3.250 Untertanen in umliegenden Dörfern, blieb aber unter österreichischer Oberhoheit. Jetzt wurde unter Abt Modestus Huber (1692-1729) mit einem großzügigen Neubau der gesamten Klosteranlage begonnen. Der aus Elchingen stammende Baumeister Christian Wiedemann (1680-1739) und sein Sohn Johann errichteten 1714-1740 zunächst die einen Hof umschließenden Ökonomiegebäude im Westen mit einem davor liegenden Lustgarten, dann den Nordwesttrakt mit den Gästezimmern und den langgezogenen Nordflügel für die Schule mit dem darüber liegenden, reich ausgestatteten Bibliothekssaal, dessen Weisheit und Wissenschaften symbolisierendes Deckenfresko 1744 Franz Martin Kuen schuf. Nach Plänen von Johann Michael Fischer aus München folgte 1750 bis 1762 der Bau des eindrucksvollen Osttraktes für die Klausur mit einem aus der Gebäudefront hervortretenden Mittelpavillon, der den Kapitelsaal mit einem wiederum von Kuen stammenden Deckenfresko (1754) zur Verehrung des Hl. Kreuzes aufnahm. Vom Südflügel war erst der östliche Teil fertiggestellt, als 1772 Abt Roman Fehr (1768-1797) den Grundstein zum Neubau der in der Mittelachse der Anlage angeordneten Klosterkirche legte.
Johann Georg Specht aus Lindenberg im Allgäu führte den klar gegliederten Bau mit drei annähernd quadratischen Räumen auf, unter denen zwischen Chor und Kirchenschiff der zentrale Kuppelraum für den Wallfahrtsaltar dominiert. Die den Übergang vom Spätbarock zum Frühklassizismus dokumentierende, in Weiß und Gold gehaltene Ausstattung wurde 1778 dem zum "Bau- und Verzierungsdirektor" ernannten kurtrierischen Hofmaler Januarius Zick übertragen, von dem auch - ausgehend von der Tradition der Kreuzreliquie - die das Thema des Hl. Kreuzes darstellenden großartigen Deckenfresken stammen. 1783 wurde die Kirche geweiht, deren über Eck gestellte Türme an der Westfassade unvollendet geblieben sind.
Obwohl von kriegerischen Ereignissen am Ende des 18. Jh. bedrängt, blühte das geistige und religiöse Leben im Kloster. Mit 28 Schülern, die regelmäßig auch Theater spielten, erreichte die Klosterschule ihre bis dahin erreichte Höchstzahl, und nach Aufhebung des Klosters Zwiefalten übernahm Wiblingen 1804 auch das bisher von diesem unterhaltene Gymnasium in Ehingen. Das Ende war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Am 20. November 1805 rückte ein badischer Kommissär zur Besitznahme an, wurde jedoch schon zwei Tage später von bayerischen Abgesandten vertrieben. Ihnen folgte am 31. Dezember württembergisches Militär, das nach einem Gefecht im Klosterhof am 3. Januar 1806 der aus Ulm herangezogenen bayerischen Übermacht weichen musste.
Als Folge des Preßburger Friedens (1805) wurde das Kloster am 27. März 1806 durch Bayern aufgehoben, die 31 Patres, von denen zwei in Ehingen und drei in Salzburg lehrten, der Laienbruder und die vier Novizen wurden abgefunden, die wertvolle Bibliothek mit etwa 15.000 Bänden und die Kunstgegenstände konfisziert und teilweise sofort verkauft. Nachdem Wiblingen dann am 10. September 1806 von Württemberg übernommen worden war, mussten die Patres 1807 das Gebäude räumen und fanden Aufnahme in der Erzabtei Tiniez bei Krakau, bis diese 1809 an Sachsen fiel und ebenfalls aufgehoben wurde. Die Wiblinger Klosteranlage bezog Herzog Heinrich von Württemberg, der jüngste Bruder König Friedrichs, als "Schloss" (1808-1822) mit einer Schwadron Kavallerie, und für militärische Zwecke wurde 1917 auch der Süd- und Südwestflügel aufgeführt und damit die Anlage nach den Plänen Wiedemanns komplettiert. Nach 1945 wurden die Räume als Krankenhaus und städtisches Altersheim, für die Universitätsbibliothek und Schulen für medizinische Berufe genutzt. Die 1806 zur Pfarrkirche bestimmte Klosterkirche wurde 1993 in den Rang einer Basilica minor erhoben, eine Reminiszenz an den 900. Jahrestag der Klostergründung.
HANS EUGEN SPECKER     
LITERATUR
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- I. KESSLER-WETZIG / E. TREU / W. URBAN / P. D. VOLZ: Kloster Wiblingen. Beiträge zur Geschichte und Kunstgeschichte des ehemaligen Benediktinerstiftes. Ulm 1993.
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Wiblingen und ihr Umland im Zeitalter des Barock und der Aufklärung. Ulm 2006
QUELLEN
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 14 Bd. 289-300: Diplomatare
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 235: Lagerbücher der Klöster und Stifte: Waldkirch-Würzburg
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 207: Ulm, Reichsstadt
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 532 I: Wiblingen, Benediktinerkloster: Älterer Bestand
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 532 II: Wiblingen, Benediktinerkloster: Neuerer Bestand
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 532 III: Wiblingen, Benediktinerkloster: Ortschaften
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 532 IV: Wiblingen, Benediktinerkloster: Rechnungen und Protokolle
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 532 M: Wiblingen, Benediktinerkloster: Zugang Hauptstaatsarchiv München
-Generallandesarchiv Karlsruhe 100: Sankt Georgen, Kloster, Amt und Ort
-Generallandesarchiv Karlsruhe 225: Überlingen, Stadt
-Generallandesarchiv Karlsruhe 79 P 10: Österreichische / Vorderösterreichische Regierung und Kammer
-Generallandesarchiv Karlsruhe 82: Konstanz Generalia (Hochstift)
-Generallandesarchiv Karlsruhe 98: Salem
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