Klöster in Baden-Württemberg
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Benediktinerabtei Hirsau - Geschichte
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Abbildung  Button Stifterbild mit Graf Adalbert von Calw, hinten Aureliuskloster und Bartholomäuskirche (?), um 1480.
Die Diskussion über den genauen Zeitpunkt der Einrichtung klösterlichen Lebens in Hirsau, die daran maßgeblich beteiligten Personen und das Patrozinium dieses Gotteshauses ist noch nicht zum Abschluss gekommen. Eindeutig geklärt ist inzwischen allerdings die von der älteren Forschung noch grundsätzlich bezweifelte Gründung eines Klosters an der Nagold bereits zur Karolingerzeit. Ob diese erste Gründung durch einen "senator" bzw. Grafen Erlafrid schon unter König Pippin zwischen 765 und 768 oder aber erst unter Ludwig dem Frommen durch Noting, den Bischof von Vercelli und Sohn eines Grafen Erlafrid, in dem - neuerdings wiederum mit Fragezeichen versehenen - Jahr 830 erfolgte, ist ebenso strittig wie die damit verbundene Frage, ob das erste Kloster ein Nazarius-, Aurelius- oder Petrus und Nazarius-Patrozinium hatte. Die unterschiedlichen Auffassungen spiegeln die unsichere Quellenlage wider. Sicher scheint nur, dass es zur Zeit Ludwigs des Frommen in Hirsau ein - möglicherweise ´wieder belebtes´ älteres - Kloster mit Aurelius-Patrozinium gab, in dem die aus Oberitalien herbeigeschafften Reliquien diese Heiligen niedergelegt waren.
Festeren Boden betritt man erst um die Mitte des 11. Jh. Nach Ausweis des um das Jahr 1500 nach älteren Vorlagen zusammengestellten "Codex Hirsaugiensis" ließ Graf Adalbert von Calw das inzwischen niedergegangene karolingerzeitliche Kloster auf Anregung von Papst Leo IX. ab 1059 neu errichten. Er stattete es u. a. mit Gütern aus, die zum Teil noch aus altem Klosterbesitz stammten und als ´ungerechtes Erbe´ an ihn gekommen waren. Den Konvent für seine Stiftung holte der Graf 1065 aus Einsiedeln, ließ aber schon 1069 den Mönch Wilhelm aus St. Emmeram in Regensburg kommen, der sich freilich erst nach dem Tod seines Vorgängers Friedrich 1071 zum Abt von Hirsau wählen ließ.
Die bedeutende Rolle, die Hirsau in der Folgezeit im so genannten Investiturstreit spielte, hängt wesentlich mit der Person Wilhelms von Hirsau, des berühmtesten Abts der Nagoldabtei (1069/71-1091), zusammen. Ein Hauptziel der Reformer war es, die Einflussnahme Weltlicher in kirchlichen Dingen, etwa bei Bischofs- und Abtserhebungen oder der Bestellung von Klostervögten, zurückzudrängen. Das Kloster wurde zu einem der wichtigsten Stützpunkte der päpstlichen Partei in Süddeutschland. Sein Einfluss lässt sich an der Ausbreitung der so genannten "Hirsauer Reform" ablesen und wird auf personaler Ebene durch die Tatsache verdeutlicht, dass über 50 Hirsauer Mönche des 11. und 12. Jh. als Reformäbte in andere, teilweise weit entfernte Klöster entsandt wurden.
Mit der Verschärfung der Gegensätze zwischen Papst Gregor VII. (1073-1085) und König Heinrich IV. (1056-1106), von dem Hirsau noch im Oktober 1075 ein - in seiner Echtheit noch immer umstrittenes - Privileg, das berühmte "Hirsauer Formular", erhalten hatte, wuchs Hirsaus Bedeutung als Exponent der süddeutschen Gregorianer. Da das ursprünglich für einen Konvent von gerade zwölf Mönchen konzipierte Aureliuskloster schon bald zu klein geworden war, ging man - unterstützt von zahlreichen Schenkungen des auf päpstlicher Seite stehenden Adels - an die Errichtung eines größeren Klosters, das 1091 nach neunjähriger Bauzeit eingeweiht wurde. Abt Wilhelm selbst, der am 5. Juli 1091 verstarb, hat den Umzug des Konvents von St. Aurelius in das neue Peter und Paul-Kloster auf der anderen Seite der Nagold nicht mehr erlebt. Dieser erfolgte erst ein Jahr später unter seinem Nachfolger Gebhard von Urach (1091-1105). Gebhard, welchem der dem Hirsauer Codex vorangestellte Abtskatalog erfolgreiche Wirtschaftsführung und umfangreiche Bautätigkeit, darunter auch den Bau einer unterirdischen Wasserleitung, bescheinigt, verfolgte zunächst die Politik der päpstlichen Partei weiter, scheint aber später die Fronten gewechselt zu haben. In diesem Zusammenhang blieb bis heute unklar, wie es dem Konvent im Jahre 1105 gelingen konnte, den auf Betreiben König Heinrichs V. zum Bischof von Speyer und gleichzeitig zum Abt von Lorsch erhobenen Gebhard durch die Wahl eines Nachfolgers, Bruno von Beutelsbach (1105-1120), aus dem Hirsauer Abbatiat zu drängen.
Hirsaus Bedeutung und Attraktivität sank mit dem Fortgang des 12. Jh., wie nicht zuletzt der deutliche Rückgang an Schenkungen zeigt. Im letzten Viertel des 13. Jh. geriet die Abtei in größte wirtschaftliche Schwierigkeiten. Auch im 14. Jh. kam es immer wieder zu existenziell bedrohlichen Situationen, aus denen sich das Kloster erst im Verlauf des 15. Jh. befreien konnte. Mit der Öffnung für die kirchlich-monastischen Reformbewegungen ab 1417, Kontakten zur Melker Reform und schließlich dem Beitritt zur Bursfelder Kongregation 1458 wurden nachhaltige wirtschaftliche und geistige Verbesserungen erreicht.
Unter bibliotheks- und skriptoriumsgeschichtlicher Perspektive lassen sich zwei mit den beiden Blütezeiten des Klosters im 11./12. und 15./16. Jh. einhergehende Phasen einer beachtlichen Buchkultur erschließen. Zwar sind nur noch dürftige Reste des einstigen Buchbestandes vorhanden, und es fehlen aussagekräftige mittelalterliche Kataloge, doch konnte das Profil der Nagoldabtei in dieser Hinsicht durch eingehende neuere Forschungen entscheidend geschärft werden. Die angebliche generelle "Klassikerfeindlichkeit" Hirsaus und der zahlreichen von ihm beeinflussten Reformklöster im Hochmittelalter muss demnach in Frage gestellt werden. Kaum zulässig ist es auch, von der großen Bedeutung Hirsaus als Reformzentrum weiterhin auf eine entsprechend hohe Qualität seiner Buchproduktion zu schließen. Der im Hirsauer Skriptorium unter Abt Wilhelm und seinen Nachfolgern vorherrschende Stil dürfte in Entsprechung zu den Reformidealen von pragmatischen Gesichtspunkten geprägt gewesen sein, das heißt wir müssen ihn uns eher schlicht und verhältnismäßig karg vorstellen. Der durch die Klosterreform im 15. Jh. bedingte Aufschwung der Bibliothek, der neben Handschriften jetzt in zunehmendem Umfang auch Drucke betraf, war - wie bereits im Hochmittelalter - kein Selbstzweck, sondern stand im Dienst der benediktinischen Reform selbst.
Mit Beginn des 16. Jh. setzten indessen wiederum Stagnation und Rückgang ein. Unter Herzog Ulrich von Württemberg wurde Hirsau 1534/35 reformiert. Der Konvent löste sich auf, nur Abt Johann Schultheiß blieb im Kloster und erlebte noch kurz vor seinem Tod, wie 1556 auf Befehl Herzog Christophs mit der Einrichtung einer evangelischen Klosterschule begonnen wurde.
Baugeschichtlich wurde bei der St. Aurelius-Kirche eine Abfolge von zwei Kirchenbauten und ein Umbau des letzten Baus dokumentiert. Bei der Datierung des ältesten Baus zeigt sich eine Parallele zur Hirsauer Gründungsgeschichte, wenn die Entstehungszeit der Kirche sowohl dem 8. Jh. als auch den Jahren nach 830 zugewiesen wurde. Klarer sind die Fakten bei der 1091 eingeweihten Peter und Paulskirche, deren Bau um 1140 mit der Fertigstellung des Westbaus abgeschlossen wurde.
1692 brannten drei Viertel des Gebäudebestands innerhalb der Umfassungsmauer in Folge eines von durchmarschierenden französischen Truppen bei St. Peter und Paul gelegten Schadensfeuers nieder. An mittelalterlicher Bausubstanz blieben lediglich der nördliche Turm der Peterskirche, der so genannte Eulenturm, und die gotische Marienkapelle unbeschädigt. Die Ruinen anderer niedergebrannter Gebäude innerhalb der Umfassungsmauern wurden in der Folge als Steinbruch genutzt und großenteils abgetragen.
STEPHAN MOLITOR     
LITERATUR
-<Württ. Klosterbuch> 279-281 (S. MOLITOR).
- <GermBen> V, 281-303 (K. SCHREINER).
- <KDW II> OA Calw, 43-66.
- K. SCHMID: Kloster Hirsau und seine Stifter (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 9). Freiburg 1959.
- Hirsau. St. Peter und Paul 1091-1991. 2 Bde. (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden Württemberg 10). Stuttgart 1991.
QUELLEN
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 468 Bd. 200, 202: Geistliche Zins- und Haischbücher
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 491: Hirsau
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 491 L: Klosteramt Hirsau
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 102/34: Geistliche Lagerbücher: Kloster Hirsau
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 14 Bd. 143-148: Diplomatare
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 51 U 6, 34, 363, 424a: Kaiserselekt
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 52 a U 247, 310: Archivalien aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 52 U 14, 15: Bemalte Urkunden
-Generallandesarchiv Karlsruhe 171: Pforzheim, Amt und Stadt
-Generallandesarchiv Karlsruhe 229: Spezialakten der kleineren Ämter und Orte
-Generallandesarchiv Karlsruhe 74: Baden-Generalia
-Generallandesarchiv Karlsruhe 75: Baden-Ausland
-Generallandesarchiv Karlsruhe D: Kaiser- und Königsurkunden 1200-1518
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