Klöster in Baden-Württemberg
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Augustiner-Chorherrenstift St. Michael zu den Wengen Ulm - Geschichte
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Als im Herbst des Jahres 1183 Witegow von Albeck auf der Höhe des Michelsberges ein Augustiner-Chorherrenstift gründete, erlebte unten an der Donau die Kaiserpfalz Ulm unter Friedrich Barbarossa eine Glanzzeit höfischen Lebens, und für die an die Pfalz anschließende Siedlung begannen sich die Konturen einer Reichsstadt abzuzeichnen. Mit Friedrich Barbarossa, in dessen Gefolge er sich häufig nachweisen lässt, gewann der aus einem auf der Ulmer Alb reich begüterten Hochadelsgeschlecht stammende Witegow dann auch den prominentesten Zeugen für den Gründungsakt. Ein Pilgerspital sollte auf dem Michelsberg an der von Ulm in den mittleren Neckarraum führenden, viel begangenen Handelsstraße entstehen, das nach dem Willen des Stifters von Augustiner-Chorherren betreut werden sollte. Die ersten Chorherren kamen aus dem elsässischen Stift Marbach, aber für die Zukunft wurde der Neugründung freie Propstwahl zugesichert. Die Investitur des Propstes sollte jeweils der Abt der Reichenau vornehmen, und die Schutzrechte eines Vogtes behielt sich die Stifterfamilie vor.
Als gravierender Nachteil der Lage auf dem Michelsberg, einem Ausläufer der Schwäbischen Alb, erwies sich der Mangel an Trinkwasser, der 1215 den Anlass zu einer Verlegung des Stifts auf die westlich der Stadt gelegenen Blauinseln (Wengen) bot. Die Gebäude auf dem Michelsberg blieben zunächst stehen, und erst 1539 wurde die Kirche und 1634 als letztes Relikt auch der Turm abgebrochen. Auf den Blauinseln schritt der Neubau nur langsam voran. 1224 konnte eine Kapelle und 1250 schließlich eine ansehnliche dreischiffige Kirche, das "Wengenmünster", geweiht werden.
Mit der Verlegung auf die abseits der Straßen gelegenen Inseln war auch der ursprüngliche Auftrag eines Pilgerspitals verloren gegangen, dessen Aufgabe das 1240 erstmals erwähnte, von der Bürgerschaft getragene Heiliggeistspital übernahm. In der Seelsorge erwuchs den Chorherren zunehmende Konkurrenz durch die in der Stadt aufblühenden Klöster der Dominikaner und Franziskaner, die neben der Pfarrkirche vorrangig mit Stiftungen bedacht wurden. Demgegenüber besaßen die Augustiner lediglich Patronatsrechte und Streubesitz in umliegenden Gemeinden, nutzten im übrigen die Wasserkraft der Blau für Mühle und Hammerwerk und waren in der Stadt nur mit dem Patronat über die dem Rathaus gegenüberliegende Jakobskapelle präsent.
Mit der großen Stadterweiterung von 1316 gewann Ulm seinen die Reichsstadtzeit prägenden Umriss, und als letzte Maßnahmen wurden 1377 auch Pfarrkirche und Chorherrenstift abgebrochen und in die Mauern verlegt. Während jedoch zum Münster bereits am 30. Juni 1377 der Grundstein gelegt wurde, mussten sich die Chorherren, denen als vorläufige Entschädigung das Bürgerrecht verliehen und erst nach langen Verhandlungen ein Bauplatz innerhalb der Stadt überlassen wurde, bis zum 6. November 1399 mit der Grundsteinlegung gedulden.
Der Bau einer dreischiffigen Hallenkirche und der sich zu einem geschlossenen Komplex vereinenden Stiftsgebäude bestimmte die äußere Entwicklung im 15. Jahrhundert Durchschnittlich acht Chorherren, darunter auch Angehörige des Ulmer Patriziats als Pröpste, zählte der Konvent, der sich nach vertraglicher Einigung mit der Pfarrkirche auch der Seelsorge widmete. Die Bruderschaft der Schmiede stiftete 1499 einen Eligius-Altar, und schon seit 1473 bestand eine Verbindung zur Bruderschaft der Maler, Bildhauer, Glaser und Buchdrucker, der u. a. Meister wie Hans Schülin, Bartholomäus Zeitblom, Niklaus Weckmann und Martin Schaffner angehörten; aus der Werkstatt Zeitbloms stammte auch der um 1500 datierte Hochaltar. Vom geistigen Leben zeugt die Einrichtung einer Bibliothek, deren theologischer Grundstock - wohl für Zwecke der Stiftsschule - gegen Ende des 15. Jh. durch naturwissenschaftliche, rhetorische, juristische und historische Werke erweitert wurde, und gleichzeitig entstand eine erste Darstellung der Stiftsgeschichte. Auf Widerstand innerhalb des Konvents stießen jedoch um die Wende vom 15. zum 16. Jh. von den Pröpsten angestrebte geistliche Reformen.
Nach der eindeutigen Entscheidung der Bürgerschaft für die reformatorische Lehre im November 1530 verließ Propst Ambrosius Kaut (1521-1552) heimlich Ulm und focht vor dem Reichskammergericht die Übernahme des Stifts durch die Stadt (17. Oktober 1531) an. Aber erst nach der Unterwerfung Ulms unter Kaiser Karl V. im Schmalkaldischen Krieg konnte Kaut zurückkehren und in einem Vertrag vom 18. Juli 1549 die Rückgabe des Stifts erreichen. Obwohl nicht reichsunmittelbar, konnte sich das Stift danach in der evangelischen Reichsstadt behaupten und in ständiger Auseinandersetzung mit der Obrigkeit und von dieser überwacht die Seelsorge für die wenigen verbliebenen Katholiken übernehmen. Pfarrrechte blieben jedoch dem Stift verwehrt und dem Münster vorbehalten. Taufen durch die Chorherren bedurften einer Genehmigung des Rats, katholische Trauungen mussten außerhalb Ulms stattfinden und beerdigt wurde in der Regel durch den Pfarrer auf dem evangelischen Friedhof.
Hatten sich Propst Kaut und seine Nachfolger mit einer Sanierung der baufällig gewordenen Gebäude begnügen müssen, konnte 1628/30 das Gotteshaus zu einer barocken Wandpfeilerkirche umgebaut werden. 1699 wurde mit einem großzügigen Neubau der Stiftsgebäude begonnen und 1738-1766 die Kirche im Rokokostil mit Fresken von Franz Martin Kuen, dem Bruder von Propst Michael III. (Chorherr 1727, Propst 1754-1765), prachtvoll neu gestaltet. Als letzter Bau wurde 1786 südlich der Kirche ein stattliches Amtshaus (heute Pfarramt) errichtet.
Die Zahl der Chorherren war allmählich auf 15 angewachsen, und 1676 erhob Papst Innozenz XI. die aus Bayerisch Schwaben und Oberschwaben stammenden Vorsteher des Stifts in den Rang infulierter Pröpste. 1608 war die Stiftsschule wieder begründet worden, in der nach meist von den Chorherren verfassten Texten auch Theater gespielt wurde. Die reichhaltige, auf 10.000 Bände angewachsene Bibliothek bot dafür Anregungen und zeugt von den geistigen Interessen der Augustiner. Für die Musikpflege im Stift sprechen die von Josef Lederer (1733-1796) komponierten Singspiele und Orchestermessen.
Gleichzeitig mit der Reichsstadt wurde am 29. November 1802 auch das Augustiner-Chorherrenstift vom bayerischen Kurfürsten in Besitz genommen. Drei der Chorherren sollten vorläufig die Seelsorge fortführen, bis am 2. März 1805 in der Wengenkirche die erste katholische Pfarrei Ulms seit der Reformation eingerichtet wurde. Bibliothek, Kult- und Kunstgegenstände, darunter der in der Barockzeit zwar abgebaute, aber mit seinen Tafeln im Stift erhalten gebliebene spätgotische Altar, wurden in staatliche Sammlungen überführt oder verkauft, die Stiftsgebäude als Kaserne und nach 1918 als Notwohnungen genutzt. Beim Luftangriff vom 17. Dezember 1944 wurden die Kirche und das ehemalige Stiftsareal zerstört. Während auf letzterem Wohnbauten entstanden, konnte der Chor der Kirche mit Rokokopilastern an den Wänden und einem rekonstruierten spätgotischen Netzgewölbe statt der Deckenfresken von Kuen wiederhergestellt werden (heutige "Kleine Kirche"). Das ehemalige Langhaus wurde zum Chorraum umgestaltet und im rechten Winkel dazu in Nord-Süd-Richtung ein neues Kirchenschiff angefügt. Von außen vermittelt nur noch die Westfassade mit dem Grundsteinlegungsrelief über dem einstigen Hauptportal und dem daneben liegenden Amtshaus von der Wengengasse her einen Eindruck vom Aussehen des untergegangenen Stifts, dessen Tradition die Pfarrgemeinde pflegt. Im Innern haben sich einige wenige Kunstwerke wie eine Kreuzigungsgruppe von Niklaus Weckmann (um 1495) und das ehemalige Hochaltarbild (Engelsturz) aus der Mitte des 18. Jh. erhalten, während vieles andere der einstigen Ausstattung als Folge der Säkularisation heute auf verschiedene Museen verteilt ist.
HANS EUGEN SPECKER     
LITERATUR
-<ERZBERGER> 340f.
- <Württ. Klosterbuch> 477-479 (H. E. SPECKER).
- M. ERNST: Wengenkloster und Wengenkirche in Ulm. In: <UuO> 30 (1937) 85-119.
- H. RADSPIELER: Zur Bibliotheksgeschichte des Augustiner-Chorherrenstifts zu den Wengen in Ulm. In: Aus Archiv und Bibliothek. Festschrift für Max Huber zum 65. Geburtstag. Weißenhorn 1969, 208-239.
- H. E. SPECKER: Das Augustinerchorherrenstift St. Michael zu den Wengen. In: H. E. SPECKER / H. TÜCHLE (Hg.): Kirchen und Klöster in Ulm. Ein Beitrag zum katholischen Leben in Ulm und Neu-Ulm von den Anfängen bis in die Gegenwart. Ulm 1979, 49-88.
- E. TREU/ R. WORTMANN: Kunstwerke aus dem ehemaligen Augustiner Chorherrenstift St. Michael zu den Wengen in Ulm. Ulm 1980.
QUELLEN
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart H 235: Lagerbücher der Klöster und Stifte: Waldkirch-Würzburg
-Hauptstaatsarchiv Stuttgart N 11 Nr. 23, 161: Land- und Flurkarten betreffend Neuwürttemberg
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 207: Ulm, Reichsstadt
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 530 L: Wengen, reguliertes Augustinerchorherrenstift
-Staatsarchiv Ludwigsburg B 530 S: Wengen, reguliertes Augustinerchorherrenstift
-Generallandesarchiv Karlsruhe 225: Überlingen, Stadt
-Generallandesarchiv Karlsruhe 82: Konstanz Generalia (Hochstift)
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